

Rettung eines Architekturdenkmals
1969 fand eine Europa-Gartenschau im Westfalenpark in Dortmund statt, bei der die Arbeitsgemeinschaft Holz e. V. die besondere Tragfähigkeit des Werkstoffes Holz anhand eines Pavillons darstellen wollte. Als Architekt wurde Günter Behnisch (1922 – 2010) aus Stuttgart beauftragt, der den Auftrag nutzte, um einen Experimentalbau für die Machbarkeit freitragender Dachkonstruktionen zu verwirklichen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse konnten auch bei der 1972 fertiggestellten Dachlandschaft für die olympischen Spiele in München genutzt werden. Bei der hyperbolischen Paraboloidschale in Dortmund nahm Behnisch ein Werk von Frei Otto, nämlich den Musikpavillon der Bundesgartenschau 1955 in Kassel, zum Vorbild. Diese kleinere Konstruktion mit Textilbespannung übertrug Behnisch auf die Anforderungen in Dortmund. Sie steht damit auch in Zusammenhang mit den Arbeiten des spanischmexikanisch- US-amerikanischen Architekten Felix Candela und den Arbeiten von Bauschaffenden aus der DDR, wie Herbert Müller und Ulrich Müther, die bereits seit den 1950er Jahren mit hyperbolischen Paraboloidschalen – allerdings aus Beton – experimentierten. Das Sonnensegel zeigt mit seiner Form eine für die Nachkriegszeit typische Architektursprache und ist zugleich das erste Holzflächentragwerk mit freien Rändern. Die Rezeption des Baus in der Fachliteratur unterstreicht seine Bedeutung für die Konstruktionsgeschichte. Das Sonnensegel hat auch aufgrund seines Seltenheitswertes eine besondere Zeugniskraft und steht unter Denkmalschutz.
(Auszug aus der Machbarkeitsstudie, Autor Phillip Kurz, Wüstenrotstiftung)
Das Sonnensegel
Der vom Architekten Günter Behnisch erbaute Infopavillon für die Bundesgartenschau 1969 im Dortmunder Westfalenpark war als schwebendes Dach konzipiert. Das weitgespannte hyperbolische Paraboloid wurde als vorgespannte Rippenschale mit drei Schalungslagen und biegesteifen hölzernen Randgliedern konstruiert, die Hochpunkte sind durch Druckstützen und Zugseile gehalten.
Die Hochpunkte sind unterschiedlich konzipiert: Der südliche Hochpunkt ist durch eine geneigte Stütze und zwei Spannseile, der nördliche durch eine Doppelstütze und ein Spannseil gehalten.
Die Stahlbetonfundamente der Stützen, Spannseile und Tiefpunkte sind im Untergrund durch Stahlbetonriegel verbunden.




Erste Mängel traten schon kurz nach der Fertigstellung der einst als "Temporärer Bau" errichteten Konstruktion auf und betrafen die Dachhaut, die Undichtigkeiten aufwies. Die Kunststoffschicht wurde mit Bitumendachbahnen überdeckt. Auch der Randanschluss wurde durch das Anbringen von Randwinkelblechen stark verändert.
Ein Gutachten diagnostizierte 2007 Fäulnis- und Korrosionsschäden an den Stützen und Seilen sowie an der Holzschalung. Die Holzverschalung der Dachhaut und die Holzbalken der Unterkonstruktion waren stark sanierungsbedürftig. Gleiches galt für die Bestandsholzstützen mit Stahlteilen und die Seilverspannungen. Entsprechend ertüchtigte man 2009 die Stützen und Spannseile der beiden Hochpunkte durch eine additive Stahlkonstruktion.
Die massive Schäden an der Holzsubstanz und der Abspannkonstruktion führten trotz aller Bemühungen schließlich dazu, dass die Standsicherheit des Sonnensegels nicht mehr gegeben war und das Sonnensegel Ende 2012 für das Publikum gesperrt werden musste.
Nachdem für längere Zeit eine Sanierung als nicht leistbar bewertet wurde, nahm sich - nach Hinweisen des Landesdenkmalamtes - die Wüstenrot Stiftung des Sonnensegels an und prüfte mit einer umfangreichen Machbarkeitsstudie die Möglichkeiten einer denkmalpflegerischen Sanierung.
Das auf der Studie aufbauende denkmalgerechte statisch-konstruktive Instandsetzungskonzept wurde vom Ingenieurbüro knippershelbig (Stuttgart) entwickelt und betreut. HWR Architekten haben an der denkmalgerechten Gesamtplanung mitgewirkt und die Ausschreibung, Vergabe und Objektüberwachung erbracht.
Das Sonnensegel ist für uns ein sehr besonderes Projekt, da Gunnar Ramsfjell aufgrund seiner 10-jährigen Mitarbeit dem Büro Behnisch Architekten auch heute noch eng verbunden ist.


spezielle Gerüstkonstruktion
Für die Sanierung wurde auf der Gesamtgrundfläche des Sonnensegels ein Gerüst gebaut, auf dem die Dachschale abgelegt wurde. Das Bauwerk wurde durch ein kombiniertes Trag-, Schutz- und Arbeitsgerüst zunächst unterstützt, hydraulisch angehoben und später millimetergenau wieder auf die Soll-Lage abgesenkt und feinjustiert. Um die Dachfläche an jedem Stützpunkt kraftschlüssig zu unterfangen, waren 26 Hydraulikpressen mit einer Tragfähigkeit von 100 bis 300 kN erforderlich. Diese wurden über ein computergesteuertes Wegemesssystem synchron angesteuert. Die Zuleitung erfolgte über eine Hydraulikpumpe.


Es segelt wieder
Ziel war es, die Substanz des Sonnensegels weitgehend zu erhalten und die Tragfähigkeit zu sichern. Um das Segel dauerhaft zu stabilisieren wurden die geschädigten Bereiche ersetzt und die der Witterung ausgesetzten Holzteile geschützt.
Um die denkmalswerte Konstruktion vor zukünftigen Witterungseinflüssen dauerhaft zu schützen fiel die Materialwahl für die zu ersetzenden Stützen auf Brettschichtholz-Stützen aus acetyliertes Holz (Accoya). Auch bei der notwendigen Randträgerverkleidung kam Accoya zum Einsatz.

Bevor nun das Segel wieder der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird und es für die unterschiedlichsten Veranstaltungsformate zu Verfügung stehen wird, müssen die Arbeiten der Außenanlagen fertiggestellt werden.
„Mit der Restaurierung des Sonnensegels hat Dortmund ein bedeutendes Baudenkmal zurückgewonnen, das viele Jahre abgesperrt und überwuchert im Dörnröschenschlaf dämmerte.“
Zitat von Fabian Peters aus der Veröffentlichung im Baumeister Januar-22.
Schöner kann man es nicht schreiben!


SONNENSEGEL WESTFALENPARK
ORT: | Dortmund |
AUFGABE: | denkmalpflegerische Instandsetzung |
AUFTRAGGEBER: | Wüstenrot Stiftung/ Sport-und Freizeitbetriebe Dortmund |
TYPOLOGIE: | Kultur[KUL] |
JAHR: | 2018-21 |
BGF: | k.A. |
GESAMTKOSTEN: | 2,7 Mio. € |
STATUS: | realisiert |
FOTOS: | soweit nicht anders angegeben Hans Jürgen Landes, Dortmund |
